PARTEIWATCH: Wie divers ist die gewählte Bremische Bürgerschaft?

Am 14. Mai 2023 wurde die 21. Bremische Bürgerschaft, also das Landesparlament in Bremen, gewählt. Das Besondere daran ist, dass die Bremische Bürgerschaft sowohl für die Stadt als auch für das Land Bremen zuständig ist, also sowohl die Stadt Bremen als auch die Stadt Bremerhaven Abgeordnete entsenden. Für jeden Wahlbezirk gibt es eigene Wahlvorschläge und damit auch einen eigenen Stimmzettel. 

Doch wie demokratisch wurden die Listen der Parteien aufgestellt und wie divers erscheint das neu gewählte Parlament? Wir haben bei den Parteien jeweils Wahlprüfsteine zur Diversität ihrer Listen angefragt und mit Blick auf das Wahlergebnis ausgewertet.

 

Das Wahlprozedere in Bremen und Bremerhaven

In Bremen darf im Vergleich zu vielen anderen Ländern bereits mit 16 Jahren gewählt werden. Eine Besonderheit des Wahlsystems in Bremen und Bremerhaven ist, dass die Wahlberechtigten jeweils fünf Stimmen vergeben. Indem der Fokus gezielt auf den Kandidierenden und weniger auf den Parteien liegt, wird versucht, eine möglichst ausgewogene und vielfältige Vertretung der verschiedenen politischen Interessen sicherzustellen. 

Außerdem besteht die Möglichkeit der Listenverbindung. Parteien können vor der Wahl eine Verbindung mit anderen Parteien eingehen, indem sie ihre Zweitstimmen zusammenzählen lassen. Dadurch können sie gemeinsam mehr Sitze in der Bürgerschaft erhalten, als sie individuell bekommen würden.

 

Wie divers ist nun die gewählte Bremische Bürgerschaft?

 
SPD

In der diesjährigen Wahl konnte die SPD um den Spitzenkandidaten und amtierenden Bürgermeister Andreas Bovenschulte nach der Wahlniederlage 2019 mit 29,8% wieder die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinen und die CDU hinter sich lassen. Damit hat eine Partei im Bremischen Parlament die Mehrheit, die sich explizit zu einem höheren Frauenanteil bekennt und diesen gezielt fördern möchte. So setzt eine Richtlinie des SPD-Landesverbandes fest, Wahllisten nach einem alternierenden, geschlechterparitätischen Prinzip zwischen Frau und Mann aufzustellen. Das Wahlergebnis zeigt: Immerhin werden 11 der errungenen 27 Sitze im Parlament von Frauen besetzt, was einem Anteil von 40,7% entspricht. Zwar kann die SPD bei ihrer Listenaufstellung in Punkto Altersdurchschnitt und Frauenanteil überzeugen, mit Blick auf den Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund auf der Liste gibt es allerdings Verbesserungspotenzial.

 
CDU

“Für Bremen. Und Brewomen.” [1] klingt zunächst vielversprechend, doch inwiefern hält sich die CDU an ihren eigenen Slogan? Ihre Liste besetzte die CDU ebenfalls wie die SPD geschlechterparitätisch mit einem Gesamtfrauenanteil von 42,9%. Bemerkenswert ist, dass CDU und Linke die einzigen Fraktionen in der gewählten Bürgerschaft sind, die jeweils eine paritätischen Anzahl an weiblichen und männlichen Abgeordneten entsenden. [2] Entsprechende Maßnahmen zur Förderung von Frauen schreibt der CDU Landesverbandes Bremen in seiner Satzung fest: Frauen sollen mindestens zu ⅓ an Parteiämtern in der CDU vertreten sein. [3]

Im Gesamtergebnis bleibt die CDU hinter der SPD zweitstärkste Kraft in der Bremischen Bürgerschaft. Mit Wiebke Winter an der Seite von Frank Imhoff präsentierte sie die jüngste Spitzenkandidatin der Bremischen Bürgerschaftswahl- ein wirksames Zeichen für die Förderung von jungen Menschen in politischen Ämtern. Genau in diesem Punkt schneidet die CDU jedoch im Vergleich mit allen hier untersuchten demokratischen Parteien am schlechtesten ab: ihre Liste ist nur zu rund einem Viertel mit Menschen im Alter von 20 bis 39 Jahren besetzt. Fast gänzlich auf der Wahlliste fehlen Kandidierende, die Menschen mit einer anderen ethnischen Herkunft vertreten. Hier kann sich die CDU bei den anderen Parteien etwas abschauen.

 
Bündnis 90/DIE GRÜNEN

Beide bisherigen Koalitionspartner der SPD (Grüne und Linke) verloren an Stimmen. Insbesondere die Grünen hatten jedoch mit erheblichen Einbußen zu ringen und erzielten lediglich 11,7% (zehn Sitze). Dabei bildete die Wahlliste der Grünen durchaus ihre Diversitätsbemühungen ab: unter den insgesamt 45 Kandidierenden befanden sich 22 Menschen weiblichen und 22 männlichen Geschlechts sowie eine diverse Person. Sechs von ihnen gaben an, der LGBTQIA+ Community angehörig zu sein, der Anteil an Menschen mit Beeinträchtigung gemessen an der Anzahl der Kandidierenden lag bei 11% und neun der Kandidierenden besaßen eine andere ethnische Herkunft als die deutsche. [4] Negativ fällt auf, dass 37 der 45 Kandidierenden einen Hochschulabschluss besaßen, Nichtakademiker*innen waren demnach deutlich unterrepräsentiert. 

Durch das geringe Wahlergebnis schafften es letztlich jedoch nur wenige dieser Menschen auch in die Bürgerschaft. Unter den ersten und damit gewählten zehn Kandidat*innen der grünen Liste befand sich keine Person mit Migrationshintergrund. 

 
DIE LINKE

Wer unter den Wahllisten der demokratischen Parteien die jüngsten Altersstrukturen sucht, wird bei der Linken fündig. Vierzehn Kandidierende im Alter von 20 bis 39 Jahren machten 50% der Gesamtliste aus. 

Genau wie die Grünen kommt die Linke nach der Wahl auf insgesamt zehn Sitze. Damit hält die Partei ihr Ergebnis aus der Wahl vor vier Jahren. Angeführt von Senatorin und Spitzenkandidatin Kristina Vogt reihten sich in die Liste zwölf weitere Frauen ein. Mit 46,4% schlug die Linke eine sehr weiblich repräsentierte Liste vor. Nicht abzusprechen ist der Partei die spezifische Förderung von Kandidierenden mit Migrationshintergrund, die mit 25% auf der Liste vertreten waren. Drei dieser Personen zogen auch tatsächlich in die Bürgerschaft ein. Damit sorgt die Linke für die größte Repräsentanz migrantischer Personen im neu gewählten Parlament. Positiv zu bewerten ist außerdem, dass die Linke verstärkt Nichtakademiker:innen berücksichtigt, denn lediglich 12 der aufgestellten 28 Kandidierenden besitzen einen Hochschulabschluss.

 
FDP

Fünf Sitze konnte die FDP in der Bremischen Bürgerschaft erringen, alle besetzt von männlichen Abgeordneten. Die FDP bildet mit Blick auf die weibliche Repräsentanz sowohl auf ihrer Liste als auch in der Bürgerschaft somit das Schlusslicht. Von geschlechterparitätischer Besetzung war keine Spur.

 
Bürger in Wut – Eine neue Partei im Aufmarsch?

In diesem Jahr trat die AfD nicht zur Wahl an. Die Partei reichte keine rechtsgültige Wahlliste ein. [5] Stattdessen konnte die streng konservativ orientierte Protestpartei Bürger in Wut (BIW), die sich 2004 formierte, von den ehemaligen AfD-Stimmen Gebrauch machen und erzielte damit den größten Zugewinn an Stimmen.

 

Fazit

Das Bremer Wahlsystem bringt einen bedeutenden Pluspunkt mit sich: In der Bremischen Bürgerschaft sind viele Abgeordnete vertreten, die zwar keinen aussichtsreichen Listenplatz erzielt haben, jedoch über ausreichend Personenstimmen ins Parlament einziehen konnten. Die Mehrheit der Parteien bekennt sich zu der Erfordernis, speziell weibliche Abgeordnete durch entsprechende Mechanismen zu fördern und auch den Wähler*innen scheint eine entsprechende weibliche Repräsentanz wichtig. Dies spiegelt das neu gewählte Parlament wider: der Frauenanteil im Parlament steigt im Vergleich zur 20. Wahlperiode auf 42,5 %. Als besonders engagiert im Bezug auf die Förderung von Menschen mit Migrationshintergrund stellt sich die Linke heraus. Sie stellt als viertstärkste Kraft dennoch den größten Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund in der Bürgerschaft. Trotz dessen muss die Bremische Bürgerschaft zukünftig weitaus mehr Menschen mit Migrationshintergrund berücksichtigen, um den knapp 158.000 [6] derzeit in der Stadt Bremen lebenden Menschen mit Migrationshintergrund gerecht werden zu können. Andere politisch unterrepräsentierte Gruppen und People of Colour in der Bremischen Bürgerschaft sind bislang beispielsweise kaum vertreten. Hier haben die Bremer*innen deutlichen Nachholbedarf. 

Vermerk: Am 26.05.2023 wurde bekannt, dass etwa 280 Wahlzettel mit 1400 Stimmen vernichtet worden seien. Derzeit wird geprüft, ob in einigen Bezirken nun neu gewählt werden muss. Laut einer Sprecherin der Wahlleitung wirke sich der Fehler jedoch nicht auf die bisherige Sitzverteilung im Parlament, sondern lediglich auf die Personenstimmen aus. Möglicherweise müssen bereits ins Parlament eingezogene Abgeordnete ihren Sitz für andere Kandidierende räumen.





Referenzen:

[1] https://www.kreiszeitung.de/lokales/bremen/bremen-wahl-2023-das-sind-die-kuriosesten-wahl-plakate-alle-parteien-92262135.html

[2] CDU: 12 weibliche und 12 männliche Abgeordnete

[3] https://www.cdu-bremerhaven.de/fileadmin/user/downloads/satzung_bremen.pdf

[4] eigene Angaben der GRÜNEN laut der von Brand New Bundestag eingereichten Wahlprüfsteine: Bündnis 90/DIE GRÜNEN etablierte 2021 ein Bundesvielfaltsstatut. Demgemäß wurde ein Vielfaltsrat gegründet, zu dem die Bremer GRÜNEN vier von der Parteibasis gewählte Personen entsenden. Diese Delegierten stellen gemeinsam mit je einer Person aus dem Landesvorstand und der Landesgeschäftsstelle eine Arbeitsgruppe. Aufgabe derer ist es, Monitoring mit Blick auf die Umsetzung des Vielfaltsstatut zu betreiben und unter Hinzuziehung thematisch passender Arbeitsgruppen Vorschläge zur Förderung der innerparteilichen Diversität zu erarbeiten. Auch auf Bremer Landesebene möchten die Grünen zukünftig einen Vielfaltsstatut einsetzen.

[5] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bremen-wahl-142.html

[6] https://www.tagesschau.de/inland/regional/bremen/rb-fast-jeder-5-bremer-wahlberechtigte-hat-einen-migrationshintergrund-102.html

Solverwp- WordPress Theme and Plugin